Simmeringer Hauptstraße - In der VorstadtJetzt kostenlos streamen
Alltagsgeschichte
Folge vom 21.08.2022: Simmeringer Hauptstraße - In der Vorstadt
Auf der Simmeringer Hauptstraße erkundet Ed Moschitz das oft schwierige Leben der sogenannten einfachen Leute. Die Zeiten sind schlecht wie schon lange nicht mehr, und im Arbeiterbezirk Simmering sind die Menschen mehr denn je unzufrieden mit Politik und Wirtschaft. Auch dem kleinen Tschocherl, Cafe Kodim, steht eine Zeitenwende bevor – ist die Wirtin erst in Pension, werden sich Gäste wie Herr Bruno, nach einem neuen Stammlokal umsehen müssen. Der Hausmeister leidet sehr, weil er es keinem Mieter recht machen kann. So sehr er sich auch bemüht: „Gieß ich den Rasen, gibt es Beschwerden, weil ich Wasser verbrauche. Mach ich es nicht, klagen sie über zu trockenen Boden.“ Sogar wegen einer Spinne im Stiegenhaus würden sie seinen Chef anrufen. Weil sich die Klagen über Bruno häuften, hat ihn sein Chef in einen Kurs geschickt, der dem 53-jährigen den richtigen Umgang mit Mietern lehrt. „Was du dort lernst, is‘ komplett zum Vergessen“, ist er sicher, und tröstet sich mit einem kräftigen Schluck Spritzwein. Frau Emilie ist in der Gemeindebau-Siedung Hasenleiten geboren und sie kann sich für ihr Leben keinen schöneren Platz auf Erden vorstellen. Stets ist die Blumenliebhaberin um gute Nachbarschaft bemüht, nur einmal hätte sie einen Herrn von nebenan geohrfeigt. Weil er ihr, ganz ungeniert, den Mittelfinger zeigte. „Gott sei Dank war das Fenster zu, sonst hätte es ihn im zweiten Stock rausgehaut“, sagt die rüstige 74-jährige. Früher, in ihrer Zeit als Kellnerin, hätte sie drei Männer schwer verletzt. - Weil sie aufmüpfig waren: „Als Frau muss man sich wehren, sonst bleibst‘ über“, ist sie überzeugt. Herr Peter, 62, war früher Totengräber am Zentralfriedhof. Heute ist er zuckerkrank und sollte daher strenge Diät halten. Weil er aber beim Anblick von Schoko-Pralinen stets schwach wird, musste man ihm unlängst sogar ein Bein amputieren. „Kennen sie die längste Praline der Welt? – Da können‘s einfach nicht aufhören, da wirst einfach süchtig“, erzählt er. Herr Turhan, 56, Besitzer eines Schnapsladens, stammt aus der Türkei. Nach 35 Jahren in Österreich kann er der Wiener Gemütlichkeit längst mehr abgewinnen als den Traditionen seines ehemaligen Heimatlandes. „Beim Grüßen“, sagt er. Schon am Eingang seines Ladens bemerke er, welche Zuwanderer es mit der Integration in Österreich wirklich ernst meinen, und wer nicht. Eine soziographische Entdeckungsreise entlang der sechs Kilometer langen Hauptader des traditionellen Arbeiterbezirks Simmering, in dem heute 105 000 Menschen leben. Riesige Grünflächen und viele renovierungsbedürftige Altbauten haben dieser Gegend Wiens in den letzten Jahren einen wahren Immobilienboom beschert: In nur zwei Jahrzehnten hat Simmering ein Viertel an Bevölkerung zugelegt. Bildquelle: ORF